Claudia Reinhardt

Exposé

 

 

André und Dorine Gorz

(Freitod 2007)
Als Gerhard Horst 1923 in Wien geboren, verbrachte André Gorz die Kriegsjahre in der Schweiz und ließ sich nach Kriegsende in Paris nieder. Viele Jahre arbeitete er mit Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir zusammen. Nach dem Pariser Mai 1968 und dem Bruch mit Sartre, beschäftigte er sich mit politischer Ökonomie und wurde deren führender Theoretiker. Er war ein früher Befürworter für ein bedingungsloses Grundeinkommen und hatte mit seinen Theorien großen Einfluss auf die Partei der Grünen. Er und seine Frau Dorine, eine Engländerin, lebten achtundfünfzig Jahre zusammen. Kurz vor ihrem gemeinsamen Suizid verfasste André Gorz mit dem Buch „Brief an D. Geschichte einer Liebe“ eine bewegende Liebeserklärung an seine schwer erkrankte Frau.
„ Bald wirst Du jetzt zweiundachtzig sein. Du bist um sechs Zentimeter kleiner geworden. Du wiegst nur noch fünfundvierzig Kilo, und immer noch bist du schön, graziös und begehrenswert. Seit achtundfünfzig Jahren leben wir nun zusammen, und ich liebe Dich mehr denn je. Kürzlich habe ich mich neu in dich verliebt, und wieder trage ich in meiner Brust diese zehrende Leere, die einzig die Wärme deines Körpers an dem meinem auszufüllen vermag.“

(Suicide 2007)
Born Gerhard Horst in Vienna, 1923, André Gorz spent the war years in Switzerland and settled in Paris after the outbreak of peace. For many years he worked together with Jean Paul Sartre and Simone de Beauvoir. After the events of May 1968 in Paris and his break with Sartre, he turned his attentions to political economics, becoming a leading theorist in the area. He was an early advocate of universal income and, with his theories, had a strong influence on the Green Party. He and his wife Dorine, a British citizen, lived together for 58 years. Shortly before their double suicide, André Gorz penned a moving declaration of love to his chronically ill wife in the book “Lettre à D. Histoire d'un amour “:

"Soon you will be eighty-two years old. You are six centimetres smaller now. You weigh only 45 kilos, and still you are beautiful, gracious and desirable. We’ve been living together for 58 years now and I love you more than ever. Recently I’ve fallen for you anew. Again I’m bearing in my breast this overwhelming emptiness that only the warmth of your body close to mine can fill."

 

 

 

 

Familie Klepper

Freitod 1942)
Jochen Klepper ist einer der bedeutendsten Dichter geistlicher Lieder des 20. Jahrhunderts. 1931 heiratete er, die um 13 Jahre ältere jüdische Rechtsanwaltswitwe Johanna Stein, die ihn bei seiner Karriere als Schriftsteller unterstützte. Sie brachte ihre Töchter Brigitte und Renate mit in die Ehe. Die Familie lebte in Berlin. Sie gerieten zunehmend unter Druck, weil Johanna und ihre Töchter jüdisch waren. In letzter Minute schaffen sie es, die ältere Tochter Brigitte nach Schweden zu bringen. Die jüngere Tochter Renate stirbt gemeinsam mit ihren Eltern durch Schlaftabletten und Gas.

(Suicide 1942)
Klepper is one of the most important writers of Christian sacral music of the 20th century. In 1931 he married Johanna Stein – a Jewish woman 13 years his senior, and the widow of a solicitor – who supported him in his career. She brought her daughters Brigitte and Renate to the marriage. The family lived in Berlin. They came increasingly under pressure, as Johanna and her daughters were Jewish. At the last moment they were able to get the elder of the daughters, Brigitte, to Sweden. The younger daughter Renate died together with her parents, a mix of sleeping tablets and gas.


 



 

Johanna Klepper

 

Jochen Klepper

 

Renate Stein/Tochter von Johanna Kleppper

 

Bernard und Georgette Cazes

Freitod 2013)
Ihr Tod war eine Anklage. Eine Provokation, ein politischer Akt. Nach 70 gemeinsamen Jahren tötete sich das Paar Cazes gemeinsam in einem Luxushotel in Paris. Man fand sie mit Plastiktüten über die Köpfe gestülpt, Hand in Hand, nebeneinander im Bett liegend. Sie hinterließen Briefe, in denen sie dem französische Staat vorwerfen „die Freiheit des Bürgers zu missachten“. Sie fordern die Aufhebung des Verbots der Sterbehilfe. Er Beamter, sie Professorin, verlangen ein Vermittlungsverfahren gegen den Staat. Ihr Tod sei immer ein Teil ihres Lebensplans gewesen. Schon vor Jahrzehnten seien die beiden Eheleute übereingekommen auch ihren letzten Weg gemeinsam zu gehen. Mehr als den Tod fürchteten sie die Trennung, bezeugt ihr Sohn Jérome.

 

(Suicide 2013)
Their death was an accusation. A provocation, a political act. After 70 years together, Mr and Mrs Cazes took their lives together in a luxury hotel in Paris. They were found with plastic bags pulled over their heads, hand in hand, lying beside each other in bed. They had left letters in which they accused the French state of “violating the rights of the citizen“. They called for a lifting of the ban on aided euthanasia. He a civil servant, she a professor, both demanding legal action against the state. Their death had always been a part of their life plan. Even decades earlier both partners in the marriage had decided to share their final journey. Their son Jérome testified – much more than death, they feared being parted.

 

 

 



 

 

 

 

Stefan und Lotte Zweig

(Freitod 1942)
Die Zerstörung seiner „geistigen Heimat Europa“ und die daraus folgende Perspektivlosigkeit waren für Stefan Zweig der Grund für seinen Suizid. Seine Frau Lotte, dreizig Jahre jünger, folgte ihm in den Tod. Als engagierter Intellektueller
und Pazifist trat er entschieden gegen den Nationalismus ein. Seine Bücher durften im Deutschen Reich nicht mehr verlegt werden und wurden verbrannt. 1931 flüchteten er und seine Frau, zunächst nach London. Über die Stationen New York, Argentinien und Paraguay kamen sie schließlich 1940 nach Brasilien. Stefan Zweig hatte das Glück den Nazis entkommen, zu sein und war willkommen im Exil. Aber die Trauer und Verzweiflung waren schließlich für ihn unerträglich. Ihr Freitod wurde zum Symbol für die Intellektuellen im 20. Jahrhundert, auf der Flucht vor der Gewaltherrschaft.

(Suicide 1942)
The destruction of his “spiritual homeland of Europe“ and the following deep loss of perspective were the motivations behind Stefan Zweig’s suicide. His wife Lotte, some thirty years younger, followed him into death. As a dedicated intellectual and pacifist he conscientiously stood against National Socialism
. His books were no longer permitted to be published in the German Empire and were burned. In 1931 he and his wife fled – at first to London. After stopping in New York, Argentina and Paraguay they finally arrived in Brazil, in 1940. Stefan Zweig had the luck to have escaped the Nazis and was welcomed in exile. The grief and desperation, however, were ultimately more than he could bear. Their suicides became a symbol of intellectuals in the 20th century – on the run from tyrann

 

 

Stefan Zweig

 

Lotte Zweig

 

Heinrich von Kleist und Henriette Vogel

(Freitod 1811)
Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war“ schrieb Heinrich von Kleist in seinem Abschiedsbrief. Zusammen mit Henriette Vogel, einer Freundin und Seelenverwandten, inszenierte Kleist einen spektakulären Freitod. Am kleinen Wannsee schoss er Henriette ins Herz und sich durch den Mund in den Kopf. Henriette, die an Krebs erkrankt war, hinterließ ein Kind und ihren Ehemann. Kleist blieb zu Lebzeiten verkannt als Dichter, verzweifelt und verarmt. Er wurde nur dreiunddreißig Jahre alt und zählt heute zu den bedeutendsten Dramatikern der deutschen Romantik.

(Suicide 1811)
The truth is, there was nothing on Earth that could help me“ wrote Kleist in his suicide note. Together with friend and soulmate Henriette Vogel, Kleist staged a spectacular death. By Kleiner Wannsee lake he first shot Henriette through the heart, and then himself – through the mouth and into the head. Henriette, who was suffering from cancer, left behind a child and husband. In his lifetime, Kleist went unappreciated as a poet – desperate and impoverished. He reached a mere 33 years of age, and today is counted amongst the most significant dramatists of German Romanticism.





 

Henirich von Kleist

 

Henriette Vogel

 

Arthur Koestler und Cynthia Jefferies

(Freitod 1983)
Arthur Koestler wurde 1905 als Sohn eines jüdischen Industriellen in Ungarn geboren. Er wuchs in Wien auf und studierte Ingenieurwissenschaften sowie Philosophie und Literaturwissenschaft. Schon in jungen Jahren begeisterte er sich für den Zionismus. Er war überzeugter Kommunist und wurde später zum Gegner der kommunistischen Partei. Koestler lebte ein extremes Leben. Er bereiste in den dreißiger Jahren die stalinistische Sowjetunion, lebte als Kibbuznik in Palästina und berichtete über den israelischen Unabhängigkeitskrieg. Während des spanischen Bürgerkriegs arbeitete er als Kriegsberichterstatter. Als kommunistischer Spion saß er in Francos Todeszelle. Er überflog im Zeppelin den Nordpol, forderte die wissenschaftliche Anerkennung der Parapsychologie, experimentierte mit Drogen, traf Gurus in Indien und Zen Priester in Japan. Er war dreimal verheiratet und hatte eine intime Beziehung zu Simon de Beauvoir. Mit Hilfe der Freitod Vereinigung „Exit“ nahm er sich, mit seiner zweiundzwanzig Jahre jüngeren Frau Cynthia, das Leben. Er wurde 78 Jahre alt, litt an der Parkinson Krankheit sowie an Leukämie.


(Suicide 1983)
Koestler was born in Hungary in 1905, the son of a Jewish industrialist. He grew up in Vienna and studied Engineering, along with Philosophy and Literature. From a very early age he was attracted to Zionism. He was a committed communist and later opponent of the communist party. Koestler lived a life of extremes. In the thirties he travelled through the Stalinist Soviet Union, lived on a kibbutz in Palestine and reported on Israel‘s War of Independance. During the Spanish Civil War he was a war correspondent. As a communist spy he sat in Franco‘s death row cell. He flew over the North Pole in a zeppelin, supported scientific recognition of parapsychology, experimented with drugs, met with gurus in India and Zen priests in Japan. He was married three times and had an intimate relationship with Simon de Beauvoir. With the assistance of the euthanasia support organisation “Exit“ he took his own life – along with his 22-year younger wife Cynthia. He was 78 years old, and suffered from both Parkinson’s Disease and Leukaemia.

 

 

Arthur Koestler

 

Bernard und Georgette Cazes

 

Familie Gottschalk

Freitod 1941)
Er galt als der deutsche Clark Gabel, spielte auf großen Theaterbühnen und in populären deutschen Filmen bei der UFA. Seine Frau Meta Wolff, ebenfalls Schauspielerin, erhielt Berufsverbot, weil sie Jüdin war. Nach Kriegsbeginn verstärkte sich der Druck des Propagandaministeriums und man verlangte von Joachim Gottschalk die Scheidung. Als er sich vehement weigerte erhielt er keine Engagements mehr. Die Lage spitzte sich dramatisch zu. Die Familie sah keinen Ausweg und vergiftete sich, zusammen mit ihrem neunjährigen Sohn Michael, in ihrer Wohnung in Berlin-Grunewald. Die Teilnahme an der Beerdigung wurde verboten und Goebbels untersagte jeglichen Nachruf. Es nahmen trotzdem einige Kolleginnen und Kollegen an der Beisetzung teil.

(Suicide 1941)
He was considered Germany’s Clark Gabel, performing on the big stages and in the popular German films of the UFA studios. His wife Meta Wolff, also an actor, was banned from working because she was Jewish. After the outbreak of war, pressure from the Ministry of Propaganda increased and Joachim Gottschalk was instructed to divorce. After he vehemently rejected the order, work dried up for him. Conditions worsened dramatically. The pair saw no escape and poisoned themselves, along with the nine-year-old son Michael, in their apartment in Berlin Grunewald. Attendance of the funeral was forbidden and Goebbels forbade any form of obituary. Nevertheless, a few colleagues took part in the ceremony.

 

 

 

 

 

Michael Gottschalk

 

PETRA KELLY AND GERT BASTIAN

(Freitod 1992)
Ihre Leichen wurden erst Wochen nach der Tat in ihrer Bonner Wohnung aufgefunden. Was genau geschah wurde nie gänzlich aufgeklärt. Sicher ist, dass Kelly im Schlaf von ihrem Lebensgefährten Gerd Bastian, getötet wurde bevor er sich selbst das Leben nahm. Sie waren ein ungleiches, auffälliges Paar. Sie, Gründungsmitglied der Grünen Partei, Galionsfigur der Friedensbewegung und Kämpferin für Menschenrechte. Er, vierundzwanzig Jahre älter als Kelly, ein ehemaliger General, der die Seiten wechselte und zum Friedensaktivist wurde. Ihre Beziehung wird von nahen Bekannten und Freunden als extremes Abhängigkeitsverhältnis beschrieben. Kelly hätte oft geäussert, dass sie ohne ihren Partner nicht sein könne und erwartete die permanente Anwesenheit und Nähe ihres Partners. Eine Liebe die sich umkehrte, die die Verhältnismässigkeit verlor und sie schliesslich von der Aussenwelt isolierte. Eine Verzweiflungstat, ein Mord, der die Bundesrepublik schockierte und für die deutsche Linke eine unfassbare Trauer hinterließ.

(Suicide 1992)
Their bodies weren’t discovered in their Bonn apartment until weeks after the event. Exactly what happened has never been fully revealed. What is known is that Kelly was killed in her sleep by her long-time partner Gerd Bastian, before he took his own life. They were an unusual, eclectic couple. She – founding member of the Green Party, figurehead of the peace movement and campaigner for human rights. He – 24 years her elder, a former general who changed camps and became a peace activist. Their relationship would later be described by close acquaintances and friends as extremely co-dependent. Kelly had often expressed that she could not exist without her partner and expected permanent closeness and intimacy. A love which turned on itself, grew out of proportion and ultimately isolated them from the outside world. An act of desperation – a murder which shocked the Federal Republic and left an unfathomable void in the German Left.



 

PETRA KELLY

 

Lavinia Schulz und Walter Holdt

(Freitod 1924)
Sie waren ein Künstlerpaar. Expressionistische Maskentänzer, die „Körpermasken“ kreierten, mit denen sie in dadaistischen Vorführungen auftraten. Immer am Rande des Existenzminimus lebend (für ihre Kunst nahmen sie nie Geld, da Kunst für sie nur aus einem idealistischen Wert bestand) starben sie völlig verarmt und wurden vergessen. Schulz war 28, Holt 25 Jahre alt. In diesem Fall war es die Frau die zuerst ihn erschoss, dann zu den Nachbarn rannte , die Tat gestand und zurück in der Wohnung sich schliesslich ebenfalls durch einen Schuss in den Kopf tötete. Das Kind lag nebenan im Bettchen. Die einhellige Meinung zu diesem Mord, oder gemeinsamer Selbsttötung, liegt in der Überzeugung, dass es ein gemeinsames scheitern war. Erst in den achtziger Jahren entdeckte man durch einen Zufall einen Koffer auf dem Dachboden des Kunst und Gewerbemuseum in Hamburg mit ihren Kostümen. Durch diesen Fund wurde zumindest ein Teil dieser grossartigen Arbeiten erhalten und das Paar und ihre Kunst nicht für immer ungeachtet.

Walter Holdt (Suicide 1924)
They were an artist couple. Expressionist, masked dancers who created ‘full-body masks‘ which they donned in their Dadaist performances. Forever living on the knife’s edge of minimal income (they never accepted money for their art, as for them art could only hold idealistic value) they died in abject poverty and were forgotten. Schulz was 28, Holt 25 years old. In this instance it was the woman who first shot the man, ran to the neighbours, confessed to the crime, and then back in the apartment also ended her own life with a gunshot to the head. Their child lay unharmed beside them in its crib. The unanimous opinion of the murder, or double suicide, was the conviction that it due to their abject failures. It wasn’t until the 1980s that, by coincidence, a suitcase was found in the attic of the Kunst und Gewerbemuseum in Hamburg with their costumes inside. Through this discovery, at least a small part of their brilliant works were regained, the couple and their art no longer condemned to obscurity.



 

Walter Holdt

 

Monika und Michael Stahl

Freitod 2005)
Sie war 42 Jahre, er 39 Jahre alt, als sie sich entschlossen ihr Leben zu beenden. Vergiftet durch die Abgase ihres Autos fand man sie in einem Waldstück bei Berlin. Die Bildzeitung zeigte das Paar auf der Titelseite, tot im Sarg liegend. Die Überschrift lautete: „Lieber tot als arm“. Sie wurden als erste Opfer der Hartz IV Gesetzte bezeichnet. Monika Stahl war Sekretärin, mit einem geringen Gehalt, Michael Stahl war arbeitslos und hoch verschuldet. Sie hinterließen einen langen Abschiedsbrief: „Wir krebsen durch das Leben und spulen monoton einen Tag nach dem anderen ab. - Die neuen Reformen treffen uns schwer. - Alles, was Michael und ich wollten, war ein ruhiges geordnetes Leben. - Wir haben euch alle sehr lieb. Moni und Micha.“

(Suicide 2005)
She was 42 years old, he was 39 when they decided to end their life together. They were found in their car in a wooded area near Berlin, poisoned by the exhaust fumes. The Bildzeitung newspaper displayed the pair on the front page, lying dead in their coffins. The headline read “Lieber tot als arm“ – better dead than poor. They would be called the first victims of the Hartz IV social benefit reforms. Monika Stahl was a secretary on low income, Michael Stahl was unemployed and heavily in debt. They left a long farewell letter – “We are crawling through life and monotonously flushing one day after the next away – The new reforms have hit us very hard – All that Michael and I wanted was a quiet, tidy life – We love you all very much. Moni and Micha.“

 

 

 

Monika und Michael Stahl